Liebe Paten, liebe Freunde und Verwandte,

von Herzen wünsche ich Euch und Euren Familien eine frohe und gesegnete Osterzeit! Resurrexit! Der Herr ist wahrhaft auferstanden undRoland
hat den Tod überwunden! Ich hoffe Ihr habt die heiligen Tage gut verbracht und wurdet durch die frohe Botschaft mit neuer Zuversicht erfüllt.
Das Osterfest dieses Jahr war für mich ungewohnt anders. Am Palmsonntag sind wir tatsächlich mit echten Palmzweigen singend durch die staubigen Straßen unseres Viertels gezogen und ich habe eine Vorstellung davon bekommen, wie das wohl im alten Jerusalem gewesen sein mag. In der Nacht auf Karfreitag hatten wir, wie jeden Monat, eine Nacht der Anbetung vor dem Allerheiligsten in unserer Kapelle und haben so mit dem Herrn auf dem Ölberg gebetet. Viele Freunde des Viertels kamen vorbei um uns dabei zu unterstützen, die Nacht durch zu wachen.
Erst am Freitag Mittag, im letzten Moment um 12 Uhr, haben wir das Allerheiligste wieder eingeschlossen und den Tabernakel verhüllt und auch die Kapelle versperrt. Die Ostermesse haben wir recht schlicht am Samstagabend in der Gemeinde gefeiert. Das ging fast ein bißchen plötzlich und richtige Osterfreude kam dann auch erst am Ostermontag auf, als wir mit einem Priester in unserer Kapelle die Messe gefeiert haben. Er singt leidenschaftlich gerne und hat die ganze Liturgie mit uns gesungen! Besonders gut gefällt mir das “Regina caeli” (s.o.), mit dem wir die Messe und seither jeden Abend gemeinsam beschließen.roland3

Ich habe mich diesesmal mit meinem Patenbrief besonders schwer getan. Zum einen stehe ich stets vor dem Problem der Selektion. Es passiert hier so vieles, so Unglaubliches – Schönes wie Trauriges – sodaß ich gar nicht weiß, wo und wie ich beginnen soll, was ich mitteilen soll. Auf zwei, drei Seiten reduziert sich alles so furchtbar! Und zum Anderen sind die Wunder, die hier passieren oft so klein und verborgen, im Vergleich zur offensichtlichen Häßlichkeit der Sünde. Ich möchte von der Schönheit der Menschen dieses faszinierenden Landes und der meiner Mission berichten, habe aber zugleich die alltägliche Präsenz der Gewalt vor Augen! Manchmal habe ich diesen Patenbrief begonnen, in dem ich zunächst von der immer warmen Sonne Argentiniens, den handgroßen Schmetterlingen und der skandalösen Umweltverschmutzung erzählt habe. Wenn ich dann aber am Abend die 300 Meter zum Internetcafe gelaufen bin, vorbei an der Ecke, an der sich die 15 jährigen prostituieren, dann konnte ich den Brief vom schönen Herbst Argentiniens nicht mehr so stehen lassen… Und auch wenn ich die Dinge, die mich in großes Staunen versetzen, schließlich in meinen eigenen Worten lese, erscheinen sie mir mit einemmal so unverständlich und es liest sich so unbedeutend. Es sind Wunder des Alltags, die sich hier zutragen und wie soll man deren wahre Grösse in ein paar Worten vermitteln?!

Man muss die Menschen kennen, in ihren einfachen Häusern gewesen sein und ihre Lebensgeschichten kennen. Wie kann man sonst den Wert begreifen, den zum Beispiel die Situation hat, in der ein junger Mann bei dem 16. Geburtstagsfest unseres Point-Coeur Hauses voll Freude darin aufgeht, sich beim Dosenwerfen um ein paar Kinder des Viertels zu kümmern! Man muß zuvor den Ausdruck in seinen Augen gesehen haben, mit dem er von seiner eigenen Kindheit erzählt – wie er Lebensmittel im Müll suchte, um sich zu ernähren – um die Freude zu begreifen, mit der er nun an die kleinen Sieger Bonbons verschenkt! Bis vor kurzem hatte er sich noch stets in einen Winkel seines Hauses zurück gezogen, wenn die Kinderfreunde seine Frau während sechs Jahren besuchen kamen. Jetzt nimmt er immer öfter den 2 km langen Weg auf sich, um morgens zur Anbetung zu kommen und um – wie er selbst sagt – den Frieden in unseren Gesichtern anzutreffen, den er selbst nicht hat. Bisher sah ich in Deutschland in einem lachenden Kind, zwar die Schönheit eines lachenden Kindes, aber nie etwas besonders aussergewöhnliches und schon gar ein Wunder. Ein anderes Wunder, von dem ich jetzt erzählen möchte, welches mich für einen Moment in echtes Staunen versetzte, war das stolze Lächeln des zehnjährigen José, als ich ihm sagte: “Steh schnell auf, ich brauche dich dringend hier im Fußballtor!!” Als ich dieses stolze Lächeln sah, mit der ganzen Freude darüber, in diesem einen Augenblick unentbehrlich zu sein, sah ich plötzlich die ganze Person! Diesen Jungen, der so viel Gewalt erlebt, der geschlagen wird und gelernt hat, sich mit Gewalt Respekt zu verschaffen! Der gleiche José, der uns vor kurzem noch beschimpft und uns mit Steinen beworfen hat. Diese Lächeln ist dann nicht nur Ausdruck der Freude darüber plötzlich etwas zu gelten, es ist zugleich Versöhnung. Versöhnung mit sich, mit seiner kleinen Person und auch mit uns, mit uns Kinderfreunden!

Ich hätte ebenso gut von Uriel schreiben können, der etwa im gleichen Alter ist, wie José und der von seiner alkoholkranken Mutter so sehr geschlagen wird, bis er offene Stellen hat und aus dem Mund blutet. Uriel ist selbst kein Engel und in seinem Benehmen oft noch rabiater gegen uns als José. Doch vorgestern war er am Abend im Punto-Corazón, nur er und wir, und wir haben gemeinsam ein Haus aus großen Kartons gebaut. Und als ich dabei seine freudigen Augen gesehen habe, aller Gewalt zum trotz, da hätte ich ihn fast weinend in die Arme nehmen wollen.

Eine andere traurige Realität in unserem Punto-Corazón in Santa Fe sind Diebstähle. Vor kurzem haben sie uns zwei Schaufeln gestohlen, die nicht einmal uns gehörten! Wir hatten sie für Arbeiten in unserem Garten gebraucht und danach im Hof stehen lassen. Vermutlich haben sie sie geholt, als wir am Abend in der Messe waren; es hat uns alle sehr getroffen. Dabei ist es nicht einmal der Wert der Dinge selbst, es ist viel mehr der Schmerz über enttäuschtes Vertrauen. Denn es sind oftmals die gleichen Jugendlichen und “Kinder”, die am Tag zuvor noch mit uns Karten gespielt haben und uns “Freunde” nennen. Wir müssen ständig aufpassen und die Dinge wegschließen, denn selbst für die kleinen, zum Teil drei jährigen Mädchen, ist das Klauen von Stiften bereits eine Art krankhafter Reflex! In solchen Fällen suchen wir natürlich das Gespräch mit den Eltern, sofern diese existieren. Aber es kam auch schon vor, daß wir zur Antwort bekamen: “Nein, nein! Mein Sohn hat nicht geklaut!” Und später erfahren wir dann auf Umwegen, zu welchen Preisen die Eltern selbst zum Beispiel einen Discman im Viertel verkauft haben. Und der Käufer kommt zu uns, um zu fragen, ob wir nicht auch noch das Ladekabel hätten, ohne welches das Gerät nicht funktioniert…

An solchen Tagen fühlt man sich irgendwie in seiner Mission verspottet und man wird sich der Grenzen seiner Liebe bewusst… Doch in der Karwoche musste ich unmittelbar an Jesus denken, der all seine Herrlichkeit verlassen hat, um in einem schmutzigen Tierstall zur Welt zu kommen. Er kam aus Liebe und um zu Lieben. Wie groß muß seine Enttäuschung und sein Schmerz gewesen sein, als sie ihm zur Anerkennung nicht zwei Schaufeln, sondern das Leben nahmen… Derzeit bereiten wir gerade einen kulturellen Abend über den Künstler Marc Chagall im Stadttheater Santa Fés vor, bei der uns besonders die Vereinigung der Juden und die katholische Universität unterstützt. So bin ich auf ein wunderbaren Satz des Malers aufmerksam geworden: “Trotz aller Schwierigkeiten, die es in unserer Welt gibt, habe ich in meinem Inneren nie die Liebe verloren, in der ich erzogen wurde, noch die Hoffnung des Menschen in die Liebe. In unserem Leben wie auf einer Farbtafel, gibt es nur eine Farbe, die dem Leben und der Kunst Sinn gibt: Die Farbe der Liebe.” Marc Chagall: “Mein Leben” Für mich ist dieser Satz wie eine Antwort darauf, wenn die Mission schwierig zu werden, oder mir das Reden über die Schönheit der Natur Argentiniens als allzu profan erscheinen mag, angesichts des leidenden Menschens! Nach all dem Leid und Elend, das Marc Chagall in seinem Jahrhundert erfahren mußte, blieb er diesem Satz und seiner Kunst dennoch treu.

“…es (gibt) nur eine Farbe, die dem Leben (…) Sinn gibt: Die Farbe der Liebe.” Und plötzlich, vor zwei Tagen kam ein Freund im Punto-Corazón vorbei. Er brachte eine Klarinette mit. Die Klarinette, die sie Silvano vor 6 Monaten bei einem Einbruch gestohlen hatten und meinte nur, er habe es nicht gerne, wenn im Punto geklaut wird.

Liebe Paten, liebe Freunde und Verwandte, Ich wünsche uns für diese Osterzeit, daß wir weder das Kreuz als absurde Torheit beiseite schieben, noch dass wir über Karfreitag verstummen. Sondern dass wir es in Liebe weitertragen und darüber hinaus den Blick stets voll Hoffnung und Freude auf Ostersonntag richten mögen! Ganz viele Grüsse aus dem immer sonnigen Santa Fé

Euer Roland