Erster Quartalsbericht von Judith Frietsch, Freiwillige in Lima – Perú
Jetzt stehe ich also, nachdem gut zwei Monate meines Freiwilligendienstes hier in Perú hinter mir liegen, vor der Aufgabe, meinen ersten Quartalsbericht zu verfassen…..und abgesehen davon, dass ich irgendwie gar nicht weiß, wo und wie ich anfangen soll, scheint es mir auch mehr als unmöglich, mit diesem Bericht der Millionenstadt Lima und dem was mir hier bisher begegnet ist, gerecht zu werden. Ich will aber wenigstens versuchen, ein paar Eindrücke in Worte zu fassen, um Euch in Deutschland hoffentlich einen groben Überblick über mein Befinden, meine Arbeit und meine neue Heimat zu schaffen!
Ich zähle in diesem Jahrgang der Amntena-Freiwilligen zusammen mit meiner Projektpartnerin Lydia zu denjenigen, die mehr oder weniger ins Blaue aufgebrochen sind, weil über die Entsendeorganisation Amtena zum ersten Mal junge Menschen in dieses Projekt hier in Lima eingesetzt wurden. Diese Tatsache hat es mir manchmal nicht ganz leicht gemacht, mich einfach so unbesorgt auf die 13 Monate in Peru, die ich so weit weg von meinem Zuhause verbringen sollte, zu freuen. Während alle anderen Projektplätze von Rückkehrern in Bezug auf Wohnen, Arbeiten und Leben im Vorfeld bei den Vorbereitungsseminaren genau beschrieben wurden, wussten wir wenig von dem, was auf uns zukommen würde. Nach nun fast zehn Wochen hier in Lima kann ich jetzt aber sagen, dass ich überglücklich bin, mich für dieses Projekt entschieden und diesen Schritt in mein Abenteuer gewagt zu haben!
Für manch‘ einen mag Lima eine große, hässliche, laute, schmutzige Stadt mit zu vielen Menschen sein. Das ist auch alles nicht zu leugnen, aber trotzdem wird diese Stadt mit allem was dazu gehört mehr und mehr zu meinem zweiten Zuhause, das ich immer stärker lieb gewinne. Aber jetzt will ich doch von vorne anfangen und einfach hoffen, dass ich Euch in der Heimat ein bisschen klarer machen kann, weshalb ich mich hier von Anfang an so wohl gefühlt habe!
Am 5. August diesen Jahres machte ich mich mit meinen Eltern und einigen Freunden auf zum Flughafen Frankfurt, und trotz meines Respekts vor diesem Schritt, für ein ganzes Jahr weg zu gehen, habe ich zu diesem Zeitpunkt einfach nur noch darauf gebrannt, dass es losgeht! Dadurch, dass ich zu denjenigen gehört habe, denen aufgrund des 3-wöchigen Sprachkurses in Barcelona nur noch fünf Tage Zeit blieb, sich von der Familie und Freunden zu verabschieden und sich entsprechend alles so extrem auf diese kurze Zeit konzentriert hat, war es unglaublich anstrengend und schwer für mich zu gehen.
Und ehe ich mich versah, landete das Flugzeug mit uns 11 Perú-Freiwilligen in Lima, und ich fand mich wieder in einer völlig anderen, unbekannten Welt. Auf dem Weg ins „Centro Oscar Romero“ (COR), in dem wir für die nächsten zweieinhalb Wochen untergebracht waren, wurde es plötzlich ganz still, und man konnte alle beobachten, wie sie trotz des langen Fluges hellwach ihre neue Umgebung aus den Busfenstern betrachteten. Da wir sehr früh morgens ankamen, war es noch dunkel und verhältnismäßig ruhig auf den Straßen; dennoch waren die ersten Eindrücke heftig für mich. Die heruntergekommenen Häuser dicht gedrängt entlang der unbefestigten und staubigen Straße, die wahllos sich kreuz und quer über die Straße ziehenden Stromkabel, der Mittelstreifen, auf dem sich der Müll türmte und schon die ersten Hunde und Menschen, die sich dort etwas mehr oder weniger Essbares zusammensuchten – das langsam erwachende Lima !
Und was für meine Begriffe schon extrem arm wirkte, steigerte sich noch um einiges, je näher wir dem Stadtteil Carabayllo kamen. Nach diesen ersten Eindrücken hätte keiner hinter den großen, schlichten Mauern das erwartet, was das Romero-Zentrum letztlich für uns darstellte. Mir kommt heute als Beschreibung das Wort “Oase“ in den Sinn…… verhältnismäßig viele Pflanzen, ein relativ sauberes Gelände und eben diese Mauern, die den meisten Lärm und all das Beschriebene draußen hielten. Wir wurden in kleinen aber anständigen Zimmern mit Stockbetten untergebracht, es gab leckeres Essen – all das sollte uns die erste Zeit in Perú so angenehm wie möglich machen.
In den ersten knapp drei Wochen stand für uns also von montags bis freitags vor allem ein wirklich hervorragender Spanisch-Sprachkurs auf dem Programm, und am Wochenende lernten wir bei einigen Sightseeing-Touren schon ein wenig von der Kultur Perús sowie die nähere und weitere Umgebung Limas kennen.

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Am 25. August 2010 war es dann so weit: Lydia und ich mussten uns von den anderen Freiwilligen, die sich nun alle auf den Weg in ihre Projekte machten, verabschieden, und gegen Mittag wurden wir von der Leiterin unseres Projektes, Schwester María van der Linde, abgeholt und in unsere eigene, kleine Wohnung begleitet. Weit war für uns die Reise nicht von Carabayllo ins benachbarte Comas, und trotzdem empfanden wir es wieder als einen riesigen Schritt. Unsere kunterbunte Wohnung befindet sich im Obergeschoss eines quietschgelben Hauses, das etwas erhöht auf einem Berg liegt und von dessen Dachterrasse (hier waschen und trocknen wir unsere Wäsche!) aus man vor allem nachts einen wunderschönen Blick auf Comas und angrenzende Stadtteile hat. Bei unserer Ankunft wurden wir von unserer Vermieterin Rosa in Empfang genommen und mit den Örtlichkeiten vertraut gemacht. Wir sind seither stolze Besitzer von insgesamt fünf Räumen: Jeder hat sein eigenes Zimmer mit großen Fenstern, wir haben eine kleine, gemütliche Küche mit allem was man braucht, natürlich ein kleines Badezimmer mit Dusche (anfänglich nur mit kaltem Wasser) und ein leer stehendes Wohnzimmer, dessen Möbel auf die restlichen Zimmer verteilt wurden und das inzwischen ab und zu als Gästezimmer für Elisa (eine weitere Freiwillige, die ebenfalls ein Jahr in Lima verbringt) dient.

 

Im Laufe der nächsten Wochen haben wir uns zum einen natürlich erst einmal in unserem neuen Zuhause eingerichtet, da doch noch einiges an Küchenutensilien und Möbeln gefehlt hat. Schon nach kurzer Zeit wurden eine elektrische Dusche und ein Internetkabel installiert, wodurch wir uns seither doch wirklich an ein bisschen Luxus erfreuen können. Zum anderen hieß es für uns in den ersten beiden Wochen auch, die verschiedenen Bereiche unserer Arbeit kennen zu lernen, die Menschen, mit denen wir mehr zu tun haben würden zum ersten Mal zu treffen und unsere Umgebung zu erforschen, die zu unserem Alltag gehören würde. So wurden wir schon am ersten Tag von einer Menge liebenswerter Frauen in der Frauenkooperative AFEDEPROM willkommen geheißen, welche gerade ein paar Straßen von unserer Wohnung entfernt untergebracht ist. In den folgenden Tagen durften wir einige dieser Frauen dann in einige Gemeinschaftsküchen (“comedors“), die sich sehr oft innerhalb des eigenen Hauses der Köchinnen befinden, begleiten, um die Zustände näher kennen zu lernen und vielleicht die tagtägliche Arbeit dort ein bisschen zu unterstützen. Es war schon etwas Besonderes zu sehen, unter welchen Bedingungen hier das Essen für mehrere Familien gekocht wird. Riesige, ausgebeulte Töpfe auf einem wackligen und verrosteten Gasherd, Wasser oft nur aus Regentonnen, unbefestigte Böden, Wände und Dächer und mittendrin spielende Kinder, Hunde und Katzen. Doch ganz gleich wie heftig die Armut und hygienischen Zustände auf uns gewirkt haben mochten, für uns zählte die stets herzlich Aufnahme der Frauen und deren Familien. Außerdem wurden wir jedes Mal mehr als üppig mit Essen versorgt.

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In der zweiten Woche machten wir uns dann das erste Mal auf den Weg ins ca. eine Stunde entfernte Pueblo Libre, um das Büro unserer zweiten Arbeitsstelle ISDEN kennen zu lernen. Hierbei handelt es sich um ein Gesundheitsinstitut, in dem vor allem Tuberkulosekranke begleitet werden und versucht wird, durch Bildungsprogramme für Krankenpflegeschüler, Gesundheitspersonal und freiwillige Gesundheitshelfer und durch die Koordinierung dieser Gruppen die Behandlung und somit die ganzheitliche Gesundheit der Menschen in Perú zu fördern und zu verbessern. Hier besteht unsere Mithilfe momentan vor allem aus Büroarbeit sowie der Organisation und Vorbereitung von zahlreichen Workshops, die ISDEN mit den verschiedenen Gruppen durchführt.
Nach dieser „Kennenlern-Phase“ und einem Gespräch mit Schwester María haben sich die Wege von Lydia und mir schließlich teilweise getrennt, und seither arbeite ich zum einen zwei Tage in der Woche in der Frauenkooperative im Büro mit und lerne dort einiges über die Vergabe und Rückerstattung der Kleinkredite für Frauen. Zum anderen bin ich mehr und mehr im Bereich der Gesundheitspastorale tätig. Die Gesundheitspastorale ist von kirchlicher Seite aus organisiert und setzt sich aus Menschen zusammen, die auf freiwilliger Basis einen Beitrag zur Krankenbetreuung leisten möchten. Hierbei ist es besonders interessant, die verschiedenen organisatorischen Ebenen kennenzulernen, da ich sowohl auf regionaler Ebene mit den Koordinatoren der einzelnen Diözesen Limas zu tun habe als auch in der Diözese Carabayllo direkt mit den freiwilligen Gesundheitshelfern arbeiten kann. Aus diesem Grunde sieht mein Arbeitsplan jede Woche ein wenig anders aus, je nach dem was für Treffen und Seminare auf dem Programm stehen. Das macht die Arbeit hier wirklich sehr interessant und abwechslungsreich, und ich bekomme einen umfassenden Einblick in die Arbeit der Gesundheitspastorale von der Koordination hin bis zur Umsetzung. Zu meiner Freude und auf meinen Wunsch hin ist es mir auch möglich, mich immer mehr direkt hier in der Kirchengemeinde einzubringen, die unserer Wohnung am nächsten liegt. Die Kirche „Nuestra Sra. De la Paz“ erfreut sich einer wirklich unglaublich hohen Aktivität ihrer Besucher. Das gilt vor allem für den Bereich der Jugendarbeit. Neben vielen anderen Aktivitäten der Jugendlichen war es für mich vor allem interessant, dass es in dieser Gemeinde fünf verschiedene nach Altersgruppen aufgeteilte Chöre gibt, die abwechselnd den Gottesdienst musikalisch gestalten.
Nachdem wir über Schwester María Padre Heinner, den Pfarrer der Gemeinde, kennenlernen durften, und wir auf seine Einladung hin einige Treffen der Jugendlichen besucht haben, nehme ich jetzt seit einer Woche an den Chorproben des „Coro parroquial“ teil und singe mit Jugendlichen meines Alters. Mit ihnen zu singen hat mich von Anfang an wirklich begeistert, da mir abgesehen von der schönen Musik sofort eine Offenheit und Herzlichkeit entgegengebracht wurde, und ich mich schon nach der kurzen Zeit als vollwertiges Mitglied fühle. Die Teilnahme in dieser Chorgemeinschaft sorgt bei mir für Ausgeglichenheit und Zufriedenheit, und mir wurde richtig bewusst, wie sehr ich das gewohnte regelmäßige Singen und Musizieren in Deutschland vermisst habe.

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Was in diesem Bericht in für mich in jedem Fall nicht fehlen darf, ist von meinem 20. Geburtstag hier in Lima zu erzählen. Offen gesagt hatte ich im Vorfeld schon ein mulmiges Gefühl, dieses Fest zum ersten Mal getrennt von Familie und meinen Freunden in Deutschland zu feiern. Ich sah dem 1. Oktober also eher kritisch entgegen. Außerdem fand am 1. + 2. Oktober ein Workshop statt, und wir mussten beide Tage durcharbeiten. Da am Sonntag, dem 3. Oktober die Bürgermeisterwahlen in Lima stattfanden, kam auch noch der Umstand dazu, dass alle Lokalitäten am Abend vorher geschlossen hatten. Wo und wie also sollte ich meinen Geburtstag feiern? Und es kam noch schlimmer, ich lag am 1. Oktober mit Fieber im Bett. Auch wenn ich etwas traurig war meinen einzigen Geburtstag hier fast komplett zu verschlafen, habe ich mich riesig gefreut, als ich beim Abendessen von Schwester María, Lydia, Elisa und den ca. 40 Teilnehmerinnen mit einer gigantischen Geburtstagstorte überrascht wurde und somit wenigstens ein bisschen Geburtstagsstimmung aufkam. Am zweiten Tag der Veranstaltung ging es mir aber schon wieder viel besser, und ich konnte beim Workshop mitarbeiten. Was ich dann nach diesem Arbeitstag erleben durfte, wird mir meinen 20. Geburtstag wohl ewig nicht vergessen lassen. Wir hatten ja inzwischen schon einige peruanische Freunde gefunden. Diese hatten zusammen mit Lydia und Elisa für mich eine kleine Überraschungsparty bei sich zuhause geplant, und ich kann gar nicht mit Worten beschreiben, wie wunderbar und lustig dieser Abend für mich war und wie dankbar ich für dieses Erlebnis bin.
Mein Leben hier nimmt also wie man merkt langsam Formen an. Ich lerne bei meiner Arbeit immer mehr dazu, kann eigenständiger handeln und finde immer wieder neue Bereiche, in denen ich mich einbringen kann. Dadurch, dass ich jetzt auch in meiner Freizeit viel mit peruanischen Jugendlichen zusammen bin, verbessern sich meine Sprachkenntnisse konstant, und ich fühle mich hier schon richtig zuhause.
Es gäbe noch so unvorstellbar viel mehr zu erzählen, doch ich habe versucht, mich in diesem ersten Bericht auf das Wesentliche und für mich Wichtigste zu konzentrieren. Ich hoffe trotzdem, dass meine Ausführungen Euch daheim im fernen Deutschland einen Überblick darüber gegeben haben, was mein Leben hier in Perú ausmacht. Da die Zeit wirklich wie im Flug vergeht, scheint mir der nächste Quartalsbericht auch alles andere als weit weg. Ich bin gespannt auf diese nächsten drei Monate, auf das was alles passiert, was sich in dieser Zeit entwickelt, und ich dann wieder mit Euch in der Heimat teilen kann.

Somit verbleibe ich mit den herzlichsten Grüßen nach Deutschland
Eure
Judith