Sasbacher 2014: Bericht des Vorstands
Initium sapientiae timor Domini – Gedanken zum Leitbild der Heimschule Lender
Festvortrag zum Altsasbachertag 2013
Aus Anlass des aktuellen Lenderjahres hat sich das Lehrerkollegium der Heimschule Lender auf vielfältige Weise mit der Person und dem Erbe von Franz Xaver Lender auseinandergesetzt. Eine eigene Arbeitsgruppe zum Leitbild der Schule beschäftigte sich mit dem Wahlspruch, den unser Schulgründer seiner Einrichtung mit auf den Weg gab. Zwei Mitglieder dieser Arbeitsgruppe wurden vom Vorstand des Altsasbachervereins eingeladen, den diesjährigen Festvortrag zu halten: Frau Dr. Müller-Abels (im Folgenden „M“), die Latein und katholische Religion unterrichtet, und Herr Dr. Feigenbutz (im Folgenden „F“) mit den Fächern Latein, Griechisch und Hebräisch.
auf der Suche nach klugen Gedanken zum Leitbild der Heimschule Lender sind wir – genauer gesagt, meine Kollegin Frau Dr. Müller-Abels und ich – auf ein Plattencover gestoßen, das wir Ihnen auf keinen Fall vorenthalten möchten.
[Foto 32]Dieses Bild ist nicht das Leitbild … , aber es steht in einem gewissen inneren Zusammenhang mit diesem. Vor allem aber veranschaulicht es – nicht zuletzt in den grimmigen Farbtönen der Mode der 70er Jahre – einen Satz des frühen griechischen Philosophen Heraklit: Wir steigen zweimal in den selben Fluss und doch nicht in den selben Fluss. Der Chor und das Orchester, das wir sehen, gehören zu unserer Schule und doch zu einer völlig anderen Welt.
Unseren Schülern heute müsste man schon das Format und die Medienart erst einmal historisch erklären: Bei Ihnen gehen wir davon aus, dass Sie größtenteils mit Vinyl-Schallplatten und deren Hüllen noch vertraut sind. Was sie sehen, ist das Cover einer Schallplatte, die unmittelbar nach den Feiern zu 100-jährigen Jubiläum der Heimschule entstanden ist. Sie ahnen schon, wer für die Musik auf dieser Platte verantwortlich zeichnet: zum einen Joseph Karch, der für das damalige Jubiläum die Messe zu Ehren des Hl. Franz Xaver komponierte, zum anderen Freddy Weber, dessen Vertonung des Lendermottos Initium sapientiae timor Domini damals uraufgeführt wurde. Beide Werke gibt es an diesem Altsasbacherwochenende zu hören – die Messe hören Sie morgen im Gottesdienst, Initium sapientiae haben Sie heute und hier schon zu hören bekommen.
Der Text, den Freddy Weber vertont hat, ist mehr als ein Motto: in ihm steckt das ganze Leitbild der Heimschule Lender. In seiner Vertonung spiegeln sich drei Aspekte, oder besser, drei Stadien der Auseinandersetzung mit diesem Satz: Der erste Teil thematisiert in moderner Tonsprache mit vielen Zäsuren die Verwunderung, ja das Erschauern, das dieses große Bibelwort auslöst. Im zweiten Teil wird der Spruch in modalem g-Moll hinterfragt, gerade die offenen dominantischen Phrasen-Schlüsse sind ja regelrecht musikalische Fragezeichen; und im dritten Teil wird der Spruch freudig und beschwingt angenommen. Ihrem fachkundigen Ohr ist das ja alles nicht entgangen…
Über das Erschauern vor dem Wahlspruch der Heimschule wollen wir uns hier und heute nicht weiter äußern; da kennen Sie sich als Altsasbacher ja bestens aus. Mit der freudigen Annahme steht es vermutlich ähnlich: Dieser Effekt wird ja mit jedem Jahr, das einen von der eigenen Schulzeit trennt, stärker. Aber das Hinterfragen, das lassen wir uns heute nicht nehmen; und so wollen wir jetzt ein wenig ergründen, was Lender uns mit diesem Satz eigentlich sagen wollte.
Wir haben uns in diesem „Lender-Jahr“ schon viele Gedanken gemacht, die auf der Homepage der Schule nachzulesen sind. Da wir vor einem Publikum von Altsasbachern davon ausgehen dürfen, dass unsere Zuhörer des Lesens mächtig sind, halten wir es für überflüssig, ja langweilig, das dort Veröffentlichte zu wiederholen. Stattdessen möchten wir eine andere Perspektive auf das Lender-Motto anbieten: Die Perpektive der Lehrer.
Bisher gibt es keine Hinweise, dass Lender die Wahl dieses Mottos irgendwo begründet hat. Für uns bedeutet das: Wenn wir eine historische Begründung wollen, müssen wir uns mit der Person Lenders auseinandersetzen. Das ist im derzeitigen Jahr des hundertsten Todestages vielfach in Vorträgen und Ausstellungen geschehen.
Der Eindruck, der davon bleibt, ist der: Lender war von seiner Jugend an bis zum Ende seines Lebens ein freiheitsliebender Mann, einer, der seine Überzeugungen auch gegen Widerstände durchgesetzt hat, einer, der unerschrocken staatlichen oder kirchlichen Autoritäten trotzte, wenn sie im Widerspruch zu dem standen, was er als richtig erkannt hatte. Trotzdem – oder deswegen? – hat er den Beruf eines Priesters in der Katholischen Kirche gewählt, und er ist Politiker geworden.
Priester – Pfarrer – Seelsorger, das ist jemand, dessen Hauptaufgabe darin besteht, sich um das Heil der ihm Anvertrauten zu kümmern. Lender hat das offensichtlich ganzheitlich verstanden. Das zeigen seine vielfältigen Werke, von denen die Heimschule nur eines ist. Er hat sich nicht nur um das geistige Wohl der Menschen gekümmert, sondern auch um ihr leibliches und materielles. Dafür stehen das Waisenhaus in Schwarzach, die Volksbank in Sasbach, seine 40-jährige Tätigkeit als Zentrumsabgeordneter im Badischen Landtag und im Reichstag in Berlin.
Meine These ist also: Wenn das Schulmotto eine besondere, eigene Bedeutung für unsere Schule in der Gegenwart haben soll, kann diese Besonderheit nur in engem Zusammenhang mit dem Gründer verstanden werden, der dieses Motto gegeben hat. Jede Deutung dieses Mottos muss sich an der Person, dem Leben und Handeln von Franz Xaver Lender messen lassen.
Was Lender als Person besonders auszeichnete, ist, dass er ununterbrochen zum Wohle der Menschen in seinen Pfarreien dachte, plante und handelte.
Diese Menschen waren überwiegend Bauern und Handwerker, Bürger der umliegenden Kleinstädte, also die sogenannten „kleinen Leute“, Leute ohne Standesprivilegien, Leute, die hart für ihr tägliches Brot arbeiten mussten.
Lender hatte (unter vielem anderen) beschlossen, diesen Leuten, ihren Kindern, Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Dieser Ansatz ist vom 16. Jahrhundert, als die ersten Kollegien der Jesuiten entstanden, bis heute in der Arbeit der (kirchlichen) Hilfsorganisationen für die Menschen in der dritten und vierten Welt der Königsweg, um Menschen aus Not und Unterdrückung in ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Lender hat zu diesem Zweck eine Schule gegründet. Weil er aber gesehen hatte, dass zu umfassendem Wohlergehen neben der Versorgung mit den lebensnotwendigen Gütern auch die Sorge um die Seele – wir sagen heute „Psychische Gesundheit“ – gehört, gründete er eine Schule, deren erklärtes Ziel es war, auch Seelsorger, künftige Priester, heranzuziehen. Soweit wir bisher wissen – die Auswertung des schriftlichen Nachlasses, z. B. der Predigten Lenders, steht noch aus – war er mehr ein Mann der Tat als der Worte, so dass wir heute aus seinen Taten auf seine Absichten schließen müssen.
Daraus, aus seinen Werken, können wir, die wir Schule an „seiner Anstalt“ machen, ablesen, wie sein Vermächtnis – dazu gehört auch das Leitwort „Der Anfang der Weisheit ist die Ehrfurcht vor Gott“ – heute mit Leben erfüllt werden kann.
Viele von uns sind „zufällig“ an der Heimschule, weil es hier eine freie Stelle in der passenden Fächerkombination gab, nicht, weil uns die Schule oder gar das Leitbild besonders gut gefiel.
Wir sind nach den neuesten und immer wieder sich ändernden Standards ausgebildet, kompetenzorientiert, standardbasiert, handlungsorientiert…
Wie gehen wir da mit dem Anspruch des Leitwortes um? Manche von uns ignorieren ihn, manche lehnen ihn ab: Die „Ehrfurcht vor Gott“, „Timor Domini“, wird zur Angst vor Gott: Gott, der in Gestalt der Schulstiftung die Einhaltung von Regeln fordert und bei Nichtbefolgen mit Verlust des Arbeitsplatzes bestraft.
Da wird einiges an Anpassung verlangt. Wie war das mit Lenders ersten Lehrern? Waren die politisch korrekt? Sperrlinge, Priester mit Berufsverbot, – wie waren die in der Kirche angesehen? Solche Leute anzustellen: war das eine Provokation oder einfach pragmatisch? Latein konnten sie wohl – aber konnten sie auch mit Kindern umgehen? Und was heißt das für die heutige Einstellungspolitik?
Dieser zweckorientierte Ansatz ist heute sehr en vogue und hat auch Auswirkungen darauf, wie Eltern die Schule wahrnehmen. Auf einer Elternversammlung an der Heimschule fiel vor wenigen Wochen der denkwürdige Satz, die Schule habe die Pflicht, für die entsprechenden Abitur-Durchschnitte zu sorgen.
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