Festvortrag

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Die Schöpfung bewahren zum Schutz der biologischen Vielfalt
Festvortrag von Dr. Matthias Reinschmidt, Kurator Loro Parque Fundacion/ Teneriffa – Spanien anlässlich des Altsasbachertages am 17.10.2009
Sehr geehrter Herr Siefermann, sehr geehrter Herr Prof. Friedmann,
sehr geehrter Herr Grossmann,
lieber Herr Sarcher, liebe Lehrer, liebe Altsasbacher und ganz besonders liebe Schulkameraden und Kameradinnen des Abi-Jahrgangs 1984,
als ich im Frühjahr diesen Jahres von Herrn Sarcher die Anfrage erhielt, ich solle die Festrede am diesjährigen Altsasbachertag halten, war ich einigermaßen überrascht. Eine solch große Ehre sollte mir zuteil werden, der ich zugegebenermaßen in Schulzeiten nicht zu den herausragenden Schülern gehörte?
Dr. Matthias Reinschmidt
Mir war aber sofort klar, ich werde die Herausforderung annehmen. Ich besprach mit Herrn Sarcher die Thematik und dabei wurde dann deutlich, dass man von mir einfach das erwartet, was ich beruflich mache. Ich bin Biologe in einem der schönsten Zoo Europas, im Loro Parque auf Teneriffa.
Lassen Sie mich etwas ausholen: Sie werden sich vielleicht fragen, wie nun ein ehemaliger Lenderschüler dahin kommt. Dazu wurden die Grundlagen in dieser Schule gelegt und zwar im Leistungskurs Biologie bei Klaus Mittenmüller. Er verstand es, mich für dieses Fach so sehr zu begeistern, dass mir nichts anderes übrig blieb, als Biologie zu studieren. Über Praktika im Zoo Karlsruhe bekam ich Einblick in die Welt der Zoos und wusste genau: Da möchte ich hin. Allerdings sind nicht alle Wege stets gerade, sondern manchmal muss man auch Umwege gehen; so wurde ich nach dem Studium zunächst Redakteur der Zeitschrift „Papageien“, bevor ich dann Ende des Jahres 2000 das Angebot aus dem Loro Parque bekam, dort als Biologe anzufangen. Und so bin ich nun seit März 2001 verantwortlicher Kurator für unter anderem die weltgrößte Papageienkollektion mit über 4.000 Papageien.
Wieso erzähle ich Ihnen dies alles? Zum einen, weil ich bis heute dankbar bin, dass die Grundlagen für mein berufliches Leben in dieser Schule denkbar gut gelegt wurden und zum anderen  als Einleitung zu meinem Thema: „Die Schöpfung bewahren zum Schutz der biologischen Vielfalt“.
Dazu müssen wir uns zunächst erst einmal die Begriffe näher betrachten. Was versteht man eigentlich genau unter der „biologischen Vielfalt“ oder wie wir es auch gerne nennen – unter der „Biodiversität“? Unter der biolgischen Vielfalt fasst man alle Lebensformen zusammen, aber auch biologische Einheiten, die diesen Lebensformen einen Lebensraum bieten.
Lassen Sie mich Ihnen zunächst einmal einen groben Überblick geben: Was schätzen Sie:  Wie viele Lebensformen gibt es auf unserer Erde? Wenn Sie nun von mir eine genaue Zahl erwarten, muss ich Sie enttäuschen, kann Sie aber auf der anderen Seite auch wieder beruhigen, weder ich noch irgend ein anderer Wissenschaftler auf unserem Erdball kann Ihnen diese Frage auch nur annähernd beantworten. Wir wissen es nicht! Was wir aber wissen, das sind die Lebensformen, die bis heute wissenschaftlich beschrieben sind. Aber auch hier gibt es nur ungefähre Zahlen, da es bis heute keine Datenbank gibt, die alle wissenschaftlich beschriebenen Tier- und Pflanzenarten erfasst. So liegt die angenäherte Zahl der bekannten Arten zwischen 1,6 und 1,9 Millionen Arten. Die Schätzungen über die Zahl der noch nicht beschriebenen Arten geht weit auseinander, so liegen diese zwischen 1,5 und 30 Millionen Arten, ganz wagemutige Autoren schätzen, dass auf unserer Erde bis zu 100 Millionen Arten verschiedener Lebensformen existieren!
Dass es tatsächlich noch sehr viele bis heute unbekannte Arten gibt, zeigen schon die unzähligen Neubeschreibungen von Tierarten, die jedes Jahr hinzukommen; und wenn sie nun denken, dies spielt sich nur im mikroskopisch kleinen Bereich ab, weit gefehlt, denn auch in allen fünf Wirbeltierklassen, gibt es jedes Jahr zahlreiche Neubeschreibungen. Dazu ein Beispiel: Die Zahl der weltweit erfassten Amphibienarten ist allein in einem Zeitraum von nur 15 Jahren (1992 bis 2007) um 39 % (von 4533 auf 6296 Arten) gestiegen. Seit Einführung der modernen Nomenklatur durch Carl von Linné vor 250 Jahren wurden noch niemals so viele neue Amphibienarten beschrieben, als im Jahre 2007. Ähnlich sieht es bei den Reptilienarten aus: diese haben mit 149 neuen Arten allein im Jahre 2007 ebenfalls einen neuen Rekord erzielt. Und dieser aufgezeigte Trend hält nach wie vor an. Auch die doch so gut erforschten Säugetierarten sind keineswegs alle bekannt. Zwischen 1992 und Mitte 2006 erhöhte sich ihre Anzahl um 341 auf 5421 bekannte Arten. Selbst bei den vermeintlich so gut erforschten Primaten (Affen), gab es zwischen 1992 und 2006 nicht weniger als 36 neu beschriebenen Affenarten.
Verantwortlich für diesen „Boom“ von Neuentdeckungen sind vor allem die intensive Erforschung entlegener Gebiete, sowie der Einsatz moderner, besonders genetischer Untersuchungsmethoden.
Weshalb müssen wir überhaupt wissen, wie viele Tierarten es gibt?
Nur was wir wirklich kennen, können wir auch schützen, aber wie schwierig dies ist, können Sie sich vorstellen, denn wenn schon die Erkenntnisse über die Anzahl der existierenden Arten schon nicht vollständig sind, wundert es nicht, dass man über die Anzahl bedrohter Arten noch viel weniger weiß, genauso können die Angaben über die Arten, die täglich von unserem Erdball verschwinden nur sehr unpräzise sein.
Die Anzahl der „offiziell“ (laut IUCN-Report) seit dem Jahr 1500 ausgestorbenen Arten wird bis heute mit 804 Arten angegeben. Die scheinbar „niedrige“ Zahl ausgestorbener Lebensformen dokumentiert sicherlich nur einen sehr kleinen Teil der tatsächlich ausgestorbenen Lebensformen und macht deutlich, wie wenig wir über das derzeit tatsächliche Artensterben wissen.
Eines ist aber sehr offensichtlich, nahezu alle in der Neuzeit verschwundenen Lebensformen haben ihr Aussterben, den direkten oder indirekten Einflüssen des Menschen zu verdanken. Die Ursachen für die Hauptbedrohung vieler Lebensformen sind:
1. Lebensraumzerstörung und -Degradierung
2. Klimawandel
3. Übernutzung durch Jagd
4. Traditionelle Medizin
5. Invasionsarten
6. Einschleppung von Krankheiten
7. Heimtierhandel
8. Und vieles mehr

Spix Ara bei der Aufzucht

Wobei die Lebensraumzerstörung bei 86 % aller bedrohten Vogel- und Säugetierarten, die Ursache für deren Bedrohung darstellt. Die Internationale Rote Liste der IUCN für Wirbeltiere belegt, dass im Jahre 2009 21 % aller Säugetierarten, 12 % aller Vogelarten, 31 % aller Reptilienarten, 30 % aller Amphibienarten und 37 % aller Fischarten global als bedroht eingestuft werden.
Die Definitionsgrenze zwischen Biodiversitäts-, Arten- und Naturschutz verläuft fließend – werbewirksame Fokussierung auf eine populäre so genannte „Flagship-Art“ verfolgt üblicherweise ohnehin Naturschutz im weitesten Sinne, nämlich das gesamte Ökosystem zu erhalten, in dem die bedrohte Art vorkommt, davon profitieren dann auch gleichzeitig alle anderen in diesem Lebensraum vorkommenden Arten.
Echtes Interesse an der Natur und deren Schutz  entsteht meist durch prägende Erlebnisse und Faszination in der frühen Kindheit. Wenn solche Erlebnisse ausbleiben, muss man sich nicht wundern, wenn der Nachwuchs in Naturschutzvereinen ausbleibt und selbst Biologie-Studenten einen Feuersalamander nicht mehr erkennen.
Wissen ist besonders einprägsam, wenn es „begreifbar“ gemacht wird und genau hier können und müssen wir in der Schule, aber auch im Zoo angreifen. Nutzen wir heute intensiv die Gelegenheiten, die sich dazu bieten. Es wäre sehr schmerzlich, wenn heute eine ganze Generation von Kindern heranwachsen würde, die kein Interesse an Natur und ihrem Schutz entwickelt. Ohne engagierte Naturschützer wird man den globalen drohenden Biodiversitätsverlust der nächsten Jahrzehnten kaum aufhalten können.
Völlig unangemessen – und häufig nur eine Ausrede, um sich vor Verantwortung zu drücken, ist die Aussage: „ Der Einzelne kann sowieso nichts bewegen“. Gerade aber weil die Erfassung der Biodiversitätsbedrohung bisher so unsystematisch erfolgt, ist erfolgreicher Artenschutz oft die Geschichte von engagierten Einzelpersonen.
Goldkopflangur – Zwergwildschwein – Davidshirsch – Mhorrgazelle – Mauritiusfalke – Mauritiussittich – Gelbohrsittich – Rosataube – Corroboreefrosch haben mit vielen anderen Arten eines gemeinsam: Sie waren auf kleinste Restbestände reduziert, im Falle von Davidshirsch, Mhorrgazelle oder Mauritiussittich waren dies sogar weniger als 10 lebende Exemplare auf dieser Erde. Durch das engagierte Eingreifen von Artenschützern ist es aber gelungen, diese Arten dennoch zu erhalten und einige erlebten inzwischen sogar ein unglaubliches „Comeback“ und sind inzwischen wieder in Zahlen zwischen mehreren Hundert bis sogar mehreren Tausend Exemplaren vorhanden. Ein glücklicher Umstand, der primär dem Einsatz einzelner Menschen zu verdanken ist, denen der Erhalt dieser Arten persönliches Anliegen war oder ist.
Was kann nun der Zoologische Garten zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen? Um diese Frage zu beantworten entführe ich Sie nun auf die Kanareninsel Teneriffa, um Ihnen anhand des Loro Parque die Thematik näher zu erläutern. Zunächst möchte ich Ihnen aber die Aufgaben eines zoologischen Gartens vorstellen:
 Ein Zoo ist eine Bildungseinrichtung, die den Besuchern Kenntnisse von der Vielfalt der Tierwelt und Einsichten in biologische und ökologische Zusammenhänge vermitteln soll. Für viele Menschen ist der Zoo heute die einzige Gelegenheit zur persönlichen Begegnung mit Tieren. Die Zoopädagogischen Abteilungen arbeiten mit Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen zusammen.
 Zoos betreiben Natur- und Artenschutz. Sie versuchen, von der Ausrottung bedrohte Tierarten (Wild- und Haustiere) durch im Rahmen von nationalen und internationalen Programmen koordinierte Nachzucht zu erhalten. Sind entsprechende Lebensräume vorhanden, werden Nachzuchttiere für Auswilderungsprojekte zur Verfügung gestellt. Die Nachzucht nicht gefährdeter Tierarten vermeidet weitgehend den Fang wildlebender Vertreter dieser Arten. Zoos stellen ihr Fachwissen den unterschiedlichsten Gremien zur Verfügung.
 Im Zoo wird Forschung in den Bereichen Tiergartenbiologie (u.a. Zoologie, Ökologie, Physiologie, Ethologie) und Tiermedizin im Rahmen der Möglichkeiten betrieben und gefördert. Dabei wird mit anderen Zoos, Universitäten und ähnlichen Einrichtungen zusammengearbeitet. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Tätigkeit werden in Fachzeitschriften, aber auch in Presse, Funk und Fernsehen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
 Der Zoo ist eine Stätte der Erholung und Freizeitgestaltung. Er soll möglichst für alle Besucher Erholung und Bildung miteinander in Einklang bringen. Die Bedürfnisse der Tiere und die der Besucher sollen soweit als möglich aufeinander abgestimmt werden.
Der Loro Parque wurde vor 38 Jahren gegründet und seit 18 Jahren existiert die Loro Parque Fundacion (Stiftung). Sie ist Besitzer der weltgrössten Papageienkollektion mit über 350 verschiedenen Papageienarten-  und Unterarten und verfolgt folgende Zielsetzung:
„Unsere Mission ist der Erhalt von Papageien und ihren Lebensräumen, durch Aufklärung, angewandte Forschung, verantwortliche Zuchtprogramme, sowie lokale Artenschutzprogramme, die Papageien als Botschafter für die Natur einsetzen“.
Warum gerade Papageien?
Papageien sind die bedrohteste Vogelfamilie, 27 % aller Arten sind vom Aussterben bedroht, außerdem kann man Papageien als Botschafter für viele weltweit bedrohte Ökosysteme einsetzen. Schützt man Papageien und deren Lebensräume, kann man damit auch vielen anderen, im gleichen Lebensraum vorkommenden, oft weniger auffälligen Arten, ein Überleben sichern. Bisher hat die Loro Parque Fundacion über 40 Projekte weltweit unterstützt, davon haben 57 Papageienarten in 16 verschiedenen Ländern profitiert. Derzeit gibt es 20 aktive Projekte mit einem Jahresbudget für 2009 von 850.000.- €. Insgesamt erhielten alle Projekte zusammen schon mehr als Fünf Millionen Euro Finanzierung von der Loro Parque Fundacion.
Gibt es Tierarten, die in der Natur ausgestorben sind, die aber in Zoologischen Gärten und ähnlichen Einrichtungen überlebt haben?
Ja, das gibt es. Nach gegenwärtigem Wissensstand sind es 49 Tierarten, die in der Natur ganz ausgestorben sind und in menschlicher Obhut überlebt haben, oder die in der Natur ausgestorben waren und aus Zoobeständen wieder angesiedelt werden konnten. Es handelt sich um 14 Arten Schnecken, eine Grille, einen Krebs, 12 Fischarten, eine Kröte, drei Schildkrötenarten, sieben Vogelarten und neun Säugetierarten. Für 22 dieser Arten unterhalten die Zoos internationale Zuchtbücher und / oder regionale Erhaltungszuchtprogramme. Weitaus grösser ist die Zahl der Tierarten, die regional ausgestorben waren und Dank Mitwirkung der Zoos wieder angesiedelt werden konnten
„Extinct in the Wild“ –  Liste der Arten, die nur dank Zoologischen Gärten und ähnlichen Einrichtungen überlebt haben:
WEICHTIERE
1. Aylacostoma chloroticum
2. Aylacostoma guaraniticum
3. Lacostoma stigmaticum
4. Partula dentifera
5. Partula faba
6. Partula garretti
7. Partula hebe
8. Partula labrusca
9. Partula mirabilis
10. Partula mooreana
11. Partula suturalis
12. Partula taeniata
13. Partula tohiveana
14. Partula tristis
INSEKTEN
15. Oahu-Buschgrille (Leptogryllus deceptor)
KREBSTIERE
16. Socorro-Assel (Thermosphaeroma thermophilum)
FISCHE
17. Acanthobrama telavivensis
18. Ameca splendens
19. Skiffia francesae
20. Cyprinodon alvarezi
21. Cyprinodon longidorsalis
22. Epalzeorhynchos bicolor
23. Haplochromis lividus
24. Haplochromis (Labrochromis) ishmaeli
25. Megupsilon aporus
26. Paretroplus menarambo
27. Platytaeniodus degeni
28. Prognathochromi)s perrieri
29. Yssichromis „argens“
AMPHIBIEN:
30. Wyomingkröte (Bufo (Anaxyrus) baxteri)
REPTILIEN:
31. Seychellen-Riesenschildkröte (Dipsochelys hololissa)
32. Arnold-Riesenschildkröte (Dipsochelys arnoldii)
33. Schwarze Weichschildkröte (Aspideretes nigricans)
VÖGEL:
34. Kalifornischer Kondor (Gymnogyps californianus)
35. Alagoas-Hokko (Mitu mitu)
36. Guam-Ralle (Gallirallus owstoni)
37. Socorro-Taube (Zenaida graysoni)
38. Spixara (Cyanopsitta spixii)
39. Mikronesischer Eisvogel (Halcyon c. cinnamomina )
40. Hawaii-Krähe (Corvus hawaiiensis)
SÄUGETIERE:
41. Rotwolf (Canis rufus)
42. Schwarzfussiltis (Mustela nigripes)
43. Przewalskipferd (Equus przewalskii)
44. Miluhirsch (Elaphurus davidianus)
45. Wisent (Bison bonasus)
46. Mhorrgazelle (Gazella dama mhorr)
47. Saudi-Gazelle (Gazella saudiya)
48. Arabische Oryx (Oryx leucoryx)
49. Säbelantilope (Oryx dammah)
Wiederansiedlungen
Insgesamt wurden weit über 200 regional oder lokal ausgestorbene Tierarten unter Mitwirkung von Zoos, zumeist unter Verwendung von im Zoo gezüchteten Tieren, erfolgreich – oder Erfolg versprechend – wiederangesiedelt.
Wiederansiedlungsprojekte im deutschsprachigen Raum
Feldhamster
Alpenmurmeltier
Europäischer Biber
Europäischer Nerz
Eurasischer Luchs
Waldwildkatze
Rothirsch
Europäisches Mufflon
Alpensteinbock
Graureiher
Weisstorch
Waldrapp
Bartgeier
Gänsegeier
Schwarzstorch
Rebhuhn
Schleiereule
Uhu
Steinkauz
Habichtskauz
Kolkrabe
Europäische Sumpfschildkröte
Kammmolch
Laubfrosch
Beteiligung von deutschsprachigen Zoos an Wiederansiedlungsprojekten in Drittländern
Schwarz-weißer Vari
Weißohrseidenäffchen
Goldgelbes Löwenäffchen
Schimpanse
Przewalskipferd
Spitzmaulnashorn
Wisent
Mendesantilope
Arabische Oryx
Säbelantilope
Mhorrgazelle
Gavial (Gavialis gangeticus)
Hongkong-Ruderfrosch (Philautus / Chiromantis romeri)
Ich möchte Ihnen nun anhand eines aktuellen Beispiels erläutern, wie sich die Loro Parque Fundacion für den Erhalt bedrohter Papageienarten einsetzt und dafür kämpft, dass diese Arten auch für nachfolgende Generationen auf unserem Erdball erhalten bleiben.
Ich nehme Sie nun mit auf eine kleine Reise in die Caatinga in den Nordosten Brasiliens. Dieses Gebiet ist etwa so groß wie Deutschland und besteht aus einem sehr trockenen niedrig bewachsenen Lebensraum, einer Buschsavanne, in dem Regenzeit und Trockenzeit abwechseln. Während die Regenzeit nur zwei bis drei Monate pro Jahr dauert, ist die Trockenperiode dafür umso länger und dauert entsprechend 9 bis 10 Monate. Nur während der Regenzeit führen die Wasserläufe Wasser, ansonsten sind sie ausgetrocknet. Hier lebte bis ins Jahr 2000 noch der letzte Spix-Ara (Cyanopsitta spixi), der letzte seiner Art der am 5. Oktober für immer verschwand. 10 Jahre bis zu seinem Verschwinden, finanzierte die Loro Parque Fundacion die intensive Feldforschung an dieser Papageienart. Viele wichtige Erkenntnisse und Daten über Lebensgewohnheiten, Nahrung, Verhaltensweisen konnten gesammelt werden und bilden nun einen unwiederbringlichen Schatz an Wissen. In Menschenobhut waren zu diesem Zeitpunkt noch etwa 60 Tiere dieser Papageienart vorhanden. In der Loro Parque Fundacion gab es ein Paar, das uns von der brasilianischen Naturschutzbehörde zu Zuchtzwecken anvertraut worden war. Seit 2004 haben wir fünf Jungtiere gezüchtet und der Gesamtbestand im Zuchtprogramm ist inzwischen auf 70 Tiere gestiegen. Es ist vorgesehen, sobald die Gesamtpopulation bei etwa 150 Tiere liegt, diese wieder in ihrem ehemaligen Lebensraum anzusiedeln, sie der Natur zurückzugeben. Dies wird noch ein langer mühseliger Prozess sein, aber eine lohnende Aufgabe.
Neben der eigentlichen Aufgabe die Tiere zu züchten, um sie für das Wiederansiedlungsprojekt zur Verfügung zu haben, werden eine ganze Reihe begleitender Maßnahmen unterstützt, die auch direkt der einheimischen Bevölkerung zugute kommt, die damit motiviert wird das Projekt zu unterstützen. So wurde beispielsweise eine Schule gründet, um den Kindern der Landbevölkerung überhaupt erst Bildung zukommen zu lassen, denn hier werden auch die künftigen Artenschützer ausgebildet, auch wird in einer Abendschule Erwachsenenbildung angeboten. Alles Maßnahmen die von brasilianischen Biologen und Lehrern durchgeführt werden, um die Bevölkerung in Sachen Artenschutz aufzuklären und zu sensibilisieren. Insgesamt hat die Loro Parque Fundacion das Erhaltungsprogramm für den Spix-Ara schon mit nahezu einer Million US-Dollar unterstützt und wird es weiter tun, bis das Ziel erreicht ist, den Spix-Ara wieder in seinem ursprünglichen Lebensraum der Caatinga anzusiedeln.
Zum Schluss möchte ich die provozierende Frage stellen: Warum wollen wir eigentlich Tierarten vor dem Aussterben bewahren?
Zunächst gebietet es uns die Ehrfurcht vor dem Leben in all seinen Erscheinungsformen, Tiere vor dem Aussterben zu bewahren. Daneben sollte es unser selbstverständliches Bestreben sein, unseren Kindern und Kindeskindern die biologische Vielfalt in Form einer möglichst großen Mannigfaltigkeit von Lebewesen weiterzugeben. Dass bei einer Bewahrung der vorhandenen Gesamtheit an Genen auch Nutzen versprechende Ressourcen erhalten bleiben, auf die wir in näherer oder fernerer Zukunft möglicherweise einmal zurückgreifen können, sei hier ausdrücklich hingewiesen.
Als intelligente Lebewesen – und dieses Attribut reklamieren wir Menschen ja gerne für uns – sollte es uns einfach Verpflichtung sein, Sorge für unsere Mitgeschöpfe zu tragen.
Nur wenn uns dies – wenigstens in Ansätzen – gelingt, erfüllen wir auch die biblische Forderung nach Genesis Kapitel 2 Absatz 15, „dass der Mensch den Garten Eden bebaute und bewahrte“.
Ich bedanke mich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

Predigt am Altsasbachertag 2009

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JAHRESGEDÄCHTNIS DER KIRCHWEIHE
Ich nehme Sie jetzt in eine Vertretungsstunde mit. Dabei wechseln wir gedanklich den Raum und die Zeit: 1977.
So war es damals auch.
Kirche, es gab den Schülergottesdienst, und der sollte ja im Zeitraum von einer Schulstunde gefeiert sein. Ich glaube, dass damals die Schülergottesdienste für die Unterstufe, Mittelstufe, Oberstufe getrennt waren.
Nicht alle von der Klasse waren immer da.
Ich selbst hatte von diesen Gottesdiensten immer etwas gelernt. Vor allem die Musik und die Lieder haben mich beeindruckt. Ich kam aus dem Dorf heraus in eine andere Feierkultur und Art des Musizierens im Gottesdienst. Alle fanden sich aus so unterschiedlichen Richtungen und Prägungen zusammen.
Der Gottesdienst ist aus. Es geht wieder nach oben in die Schule.

Gottesdienst 2009

Wir trödeln ein wenig. „Der Gottesdienst hat länger gedauert!“, so kamen manche nach und nach in das Klassenzimmer. Mitunter auch die, die nicht im Gottesdienst waren.
Auf jeden Fall gehen wir da nun auch einmal in eine solche Stunde. In die Quarta Rc. Wir waren nur Jungs. Mein Glück. So konnte ich damals noch in die Heimschule Lender kommen. Beim Vorstellungsgespräch, zusammen mit meinen Eltern, sagte der damalige Direktor Herr Oberhuber: „Ha, wenn es jetzt ein Junge wäre, dann wüsste ich eine Lösung.“ – „Aber, ich bin ein Junge!“, sagt ich. „Ja, dann in die Rc. Das ist eine reine Jungenklasse“, sagte er darauf. Ich hatte damals lange Haare.
Dort landete ich also in Quarta Rc, untergebracht in den unteren Räumen dieser großen Schule.
Wir waren jedoch bei der Vertretungsstunde, die wieder einmal angesagt war, weil ein Lehrer krank war. Es kam manchmal ein Herr Dr. Wild. Ein alter Mann. Uralt für uns damals. Er zeigte uns, wie die Ägypter mumifizierten, oder wie er noch in seinem Alter aus dem Stand heraus auf den Tisch springen konnte.
Öfter war es aber ein anderer.
Ich sehe ihn vor mir. Ein kleinerer Mann, meistens trug er einen braunen Anzug, Krawatte. Er sah für uns damals lustig aus. Gerade vom Gesicht her. Und er hatte es nicht leicht mit den Jungs.
Wir versuchten meistens,Geschichten hervorzulocken.
Kriegsgeschichten waren die spannendsten. Wie die Geldbörse und die Münzen darin ihm das Leben gerettet hatten, war nur eine solcher Geschichten.
Unglaubliche Lebenserinnerungen wurden uns zur Geschichtsstunde.
Aber diesmal kam er mit Lyrik. Ich glaube, er sprach von einem Gedicht. Lyrik? Das Wort kannte ich damals noch nicht.
Er schrieb es an die Tafel:
„Reklame“ von Ingeborg Bachmann.
Immer, wenn er schrieb, und uns den Rücken kehrte, flogen Grampen, also Papiergeschosse, in seine Richtung. Oder einer hatte Knallerbsen.
Das Gedicht stand an der Tafel in einer beeindruckend lesbaren und klaren Schrift. Es sind zwei Sprechende, der fragende Mensch und die Reklame mit ihren Sprüchen und ihrer Stimme auf der Tafel jeweils hervorgehoben. Ich sehe es vor mir.
Reklame, Ingeborg Bachmann
Wohin aber gehen wir
ohne sorge sei ohne sorge
wenn es dunkel und wenn es kalt wird
sei ohne sorge
aber
mit musik
was sollen wir tun
heiter und mit musik
und denken
heiter
angesichts eines Endes
mit musik
und wohin tragen wir
am besten
unsre Fragen und den Schauer aller Jahre
in die Traumwäscherei ohne sorge sei ohne sorge
was aber geschieht
am besten
wenn Totenstille
eintritt
Ingeborg Bachmann. Werke. Erster Band. 2. Aufl. München (Piper) 1982. S. 114.
© Ingeborg Bachmanns Erben Dr. Christian Moser Wien
Wir sollten dies Gedicht in zwei Gruppen geteilt lesen und in den verschiedenen Stimmen dem Sinn nachgehen.
Wir hatten alles andere im Kopf. Machten ständig so, als hätten wir den Arbeitsauftrag nicht verstanden. Wir hatten alles andere im Sinn als das zu tun, wofür er sich mühte.
„Wohin aber gehen wir…
wenn es dunkel und wenn es kalt wird
was sollen wir tun
und denken
angesichts eines Endes
und wohin tragen wir
unsre Fragen und den Schauer aller Jahre …?
Das ist das Fragen ohne dieses Dazwischengerede. Und dann der Schluss:
„was aber geschieht
wenn Totenstille
eintritt“
Ich habe es hier gelernt an dieser Schule.
Dies, dass es keine schnellen Antworten gibt, auf so manche Frage nicht gleich das Wort.
Hinhören. Hören lernen. Unbequemes Fragen.
Zwischen dem Chaos unserer Klasse gab es solche Augenblicke, die mir geblieben sind.
Es taucht zwischendurch alles immer wieder auf und setzt mich zwischen die anderen, die damals dabei waren.
Zwei haben sich später das Leben genommen. Ein anderer starb bei einem Verkehrsunfall. Was aus so manchen geworden ist? Wie sie leben? Manche waren gestern da und sind es heute wieder …
„Wohin aber gehen wir…“
Gehen wir zunächst aus dieser Verstretungsstunde heraus.
Wenn auch die Tür zu ist, hören wir noch ein wenig von dem, was dahinter ist. Vielleicht kommt Ihnen, Euch das ein oder andere Vor-der-Tür-Stehen und Hören, was dahinter ist, in den Sinn.
Oder das Warten, bis die Hand sich nun endlich zu klopfen traut.
„Wohin aber gehen wir…“
Dahinter. Dahinter sehen, dahinter gehen …
Dies „Wohin aber gehen wir“ ist jetzt nicht mehr nur die Frage eines Gedichtes von Ingeborg Bachmann, das wir gerade an der Tafel sahen.
Es hat mit diesem Evangelium zu tun, das uns aus dem Markusevangelium heute verkündet ist.
Zwei Jünger treten an ihren Lehrer und Meister heran und sagen: „Lehrer, wir wollen, dass du uns tust, um was wir dich bitten werden.
Gib uns dass wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen in deiner Herrlichkeit.“
Das ist nicht das erste Mal, dass so etwas geschieht.
Ein Kommentar zu diesem Evangelium sagt: „Die Jünger Jesu sind von einer bemerkenswerten Härte des Missverstehens; sie handeln mit einer geradezu sturen Beschränktheit an den Worten und Taten Jesu vorbei. Den Leserinnen und Lesern des Evangeliums werden die Jünger als eine Schar von Desorientierten dargestellt, die, obwohl sie größter Zeichen und Belehrungen teilhaftig werden, nicht verstehen, was sich vor ihren Augen vollzieht.“
Es geht um die guten Plätze in Zukunft mit Rang und Namen.
Jakobus und Johannes greifen in ihrer Bitte in die andere Zeit. Nicht hier und jetzt wollen sie gut postiert sein. In Ewigkeit.
Da möchte jemand mehr. An den anderen vorbei, sich absichern, und das auf Zukunft hin.
Klar bekommen das die anderen mit. Es gab schon einige Verse zuvor ein Rangstreit unter ihnen. Aber sie haben nichts gelernt.
„Sie handeln mit einer geradezu sturen Beschränktheit an den Worten und Taten Jesu vorbei“, so der zitierte Kommentar.
Jesus stellt ihnen daraufhin die Menschen vor Augen in ihrem Streben nach Macht und Position und der Lust, über den anderen zu herrschen.
Klare Absage: Bei euch nicht! Nicht so.
Und so oft zitiert durch die Generationen hindurch und zu allen Zeiten als Vorbild eingeschrieben in das Stammbuch von KIRCHE, endet das Evangelium mit den Worten Jesu:
„Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen.“
Jesus kann seinen Jüngern auf die Tafel schreiben, was er will, sie verstehen nicht. Das Markusevangelium macht uns gerade auf diesem Weg Jesu nach Jerusalem deutlich, dass sie ihn nicht verstehen.
Er kann ihnen auf die Tafel ihrer Herzens schreiben, was er will.
Auf diesem Weg nach Jerusalem sagt er ihnen dreimal, dass er leiden müsse und sterben und auferstehen werde.
„…und wohin tragen wir
unsre Fragen und den Schauer aller Jahre …?
„was aber geschieht
 wenn Totenstille
eintritt“
Auf diesem Weg nach Jerusalem spricht er dreimal von seinem bevorstehenden Leiden und Sterben und der Auferstehung. Und nachdem er davon zum dritten Mal ihnen erzählt hat, treten diese zwei, die Söhne des Zebedäus, mit dieser Bitte an ihn heran: Bitte, rechts und links, bester Platz.
„Wohin aber gehen wir…“
Ein Junger Mann aus meiner Gemeinde möchte gerne Priester werden und war auch schon in einigen Klöstern, um sich diese anzuschauen und herauszufinden, wohin er gehen soll und wo sein Platz ist.
Er sagte neulich: “Jetzt habe ich die Evangelien schon einige Male gelesen. Wenn ich es recht verstehe, geht es Jesus immer um den Menschen. Der Mensch ist ihm wichtig! Das habe ich dort, wo ich bisher war, nicht gemerkt, dass es um den Menschen geht.“
Dies Wort lässt mich nicht mehr los.
 „Wohin aber gehen wir…“
Seinen Schülern, den Aposteln, macht Jesus auf diesem Weg nach Jerusalem klar und in Jerusalem erfahrbar, dass sein ganzes Sein, ein Sein-Für ist. Ein Sein für den anderen, die andere.
„Zu dienen“, so ein Wort, das diesen Gedanken zu begreifen sucht.
Und ebenso dies: „und sein Leben hinzugeben als Lösegeld“.
Menschsein ist Menschensein für.
Das ist Einsicht und in den Worten Jesu heute auch Provokation mit diesem: „Bei euch aber soll es nicht so sein.“ Seid eine Alternative zu einer Gesellschaft, in der es den Kampf um die besten Plätze gibt und in der so viele – gerade deswegen – auf der Strecke bleiben.
Sein Wort ist nicht glatt zu bügeln. Bei euch nicht!
Dieses Umdenken fordert Jesus nicht von der großen weiten Welt.
Den Zwölf sagt er es. Ihr kennt die Herrschenden dieser Welt … Bei euch nicht. Bei euch. Hinter der eigenen Tür beginnt es. Hinter der eigenen Tür beginnt Veränderung Fuß zu fassen und wird zur Nachfolge.
Ich mache die Tür noch mal kurz auf. Es ist schon etwas mehr als 30 Jahre her. Wir waren damals nicht fair zu diesem Lehrer. Er hatte es nie aufgegeben. Uns nie aufgegeben.
Wie uns heute die Erwachsenen Jakobus und Johannes als Schüler in einem Dialog mit ihrem Lehrer gezeigt wurden, so hört unser Lernen nicht auf und auch nicht dieses Zu-begreifen-Suchen. Wir sind in jene Schule mit eingetreten. Wie damals die Jüngerinnen und Jünger Jesu in Galiläa, so auch wir.
Im Älterwerden immer jünger werden, sein Jünger werden.
Dies Wort geht als Mahnung und Zutrauen mit: „Bei euch soll es nicht so sein.“
Heinz Vogel (1984), Freiburg