Die meisten von Ihnen waren sicherlich schon einmal am Bodensee und bestaunten dabei auch die Sehenswürdigkeiten in Konstanz: das Münster und das Konzilsgebäude,  die Altstadt und den Hafen mit seiner povozierenden Imperia. Doch haben Sie als Sasbacher Bürger/Schüler auch daran gedacht, dass in dieser Stadt Xaver Leopold Lender geboren wurde? Noch heute erinnert eine Steintafel an dieses Ereignis vom 20. November 1830. Machen wir uns also auf die Spurensuche des jungen Lender.

Konstanz, Anfang April 1848: Zahlreiche Volksversamm-lungen, Reden, Beschlüsse, Bildung einer Bürgerwehr – ein großer Teil der Bürger und Bürgerinnen ist politisch mobilisiert. Wehrmänner werden eingeschrieben, regelmäßige Schießübungen finden statt. 7. April: Die Bürgerwehr zieht zu einem Werbemarsch und zur Erprobung des Kampfgeistes in den Seekreis. 11. April: Friedrich Hecker trifft in Konstanz ein. 12. April: turbulente Volksversammlung mit Friedrich Hecker im Stadthaus. 13. – 16. April: Auszug Heckers mit einer verhältnismäßig kleinen Freischar. Die Zielsetzung ist klar: Von Konstanz aus soll die Republik durchgesetzt werden.

Diese spannenden revolutionären Ereignisse bewegten selbstverständlich auch die Schüler und Lehrer im damaligen Konstanzer Gymnasium – einer davon war Xaver Leopold Lender. Er war mit seinen knapp 18 Jahren einer der jüngsten aktiven Revolutionäre, der sogar in Hecker-Kleidung in seiner Schule die Revolution propagiert haben soll. Er begleitete Hecker, wurde aus der Schule verwiesen – und später ein bekannter und berühmter Politiker und Schulgründer.

Lender also wurde 1830 in Konstanz in der Salmannsweiler Gasse 11 als Sohn eines Metzgermeisters geboren. Getauft wurde er im Münster auf den Namen Leopold Xaver; LeopolGeburtshausd nach dem Großherzog von Baden, der 1830 die Regierung übernommen hatte. Damals war die Welt noch in Ordnung; das Verhältnis des Untertanen zur Obrigkeit war noch nicht so gestört wie 18 Jahre später. Der junge Lender kam bald in die Obhut seines geistlichen Onkels Franz Xaver. Dieser war nicht nur Geistlicher, sondern auch angesehener Direktor des Konstanzer Gymnasiums; in der Zeit von 1842 bis 1847 war er Leiter des gesamten höheren Schulwesens in Konstanz.

Welch hervorragenden Ruf dieser Onkel hatte, mag fol-gende Begebenheit aufzeigen. Direktor Lender war in den 30er Jahren Lehrer des französischen Prinzen Charles Louis Napoleon Bonaparte. Dieser wohnte damals auf dem Schloss Arenenberg jenseits der Insel Reichenau auf schweizerischem Gebiet. Es wird erzählt, dass der Prinz mitten auf der Rheinbrücke dem vorbeigehenden Lender zurief: „Wenn ich Kaiser von Frankreich bin, dann werden Sie Bischof von Straßburg.“ Napoleon III. erinnerte sich später daran; aber Lender zeigte keine Lust, diesem Ruf zu folgen. Er blieb in Breisach, denn dorthin hatten ihn die politischen Wirren verschlagen. Er fühlte sich dort wohl, auch deshalb, weil er sich im badischen Liberalismus verwurzelt sah. Hierzu meint der Freiburger Historiker Hug: „Liberal zu sein, gilt als schick. Liberal wollten die Badener schon vor 200 Jahren sein. Im Gefolge der französischen Julirevolution von 1830 wurde Baden zu einer Hochburg des Libera-lismus. Damals schrieb ein Zeitgenosse über die politische Lage im Land: „Der Landtag ist liberal, der Großherzog ist liberal, selbst die Minister sind liberal. Jetzt ist es angenehm, liberal zu sein.“ In Freiburg erschien damals die einzige völlig zensurfreie Zeitung von ganz Deutschland. Sie hieß „Der Freisinnige“. Man sang auch folgenden Vers: „Wohin ich blicke weit umher, / so schön wie hier ist’s nirgends mehr. / Hier lebt ein glückliches genannt, / das ganze bad’sche Vaterland.“ Es hapert zwar etwas mit der Grammatik wie auch sonst bei den Badener, die den badischen Akkusativ verwenden etwa bei dem Satz „Ich ruf dir an.“ oder „Bring der Vater mit.“ (22)

Aber zurück! Dieser Onkel also war ein Mann, für den der Neffe – „unser“ Lender – tiefe Bewunderung und Hochachtung entgegenbrachte. Es darf deshalb nicht verwundern, dass Leopold Xaver 1842 in das Gymnasium eintrat, dessen Leiter dieser Onkel war. Lender war ein ausgezeichneter Schüler und deshalb auch Stipendiat der Wessenberg-Schüler-Stiftung. Sein Onkel aber griff dennoch immer wieder mit Strenge  in das junge Leben ein. So verpflichtete er seinen Neffen, der unentschuldigt im Unterricht fehlte, dazu, morgens um 7 Uhr im Gymnasium anzutreten, dem Onkel zu ministrieren und anschließend in die Klasse zu gehen.

Doch dann kamen das Jahr 1847 und mit ihm die politischen Losungen, die vor den Schulen nicht Halt machten. Lender musste kurz vor dem Abitur miterleben, wie im Rahmen der antikatholischen Strömungen sein äußerst geschätzter Onkel aus dem höheren Schuldienst „weggelobt“ d.h. entlassen wurde. Den jungen Lender hielt es nicht mehr auf der Schulbank – so wütend muss er gewesen sein. Leopold Xaver Lender legt 1848 den „großherzoglichen Namen“ Leopold ab und nennt sich fortan nach seinem Onkel „Franz Xaver“. Begeistert übernahm er als Oberprimaner im Frühjahr 1848 die politisch radikalen Forderungen und schloss sich den Revolutionären an. So trat er als Redner für Volksrechte ein und stellte radikale Forderungen gegenüber dem Obrigkeits- und Polizeistaat. Er formulierte z.B. die politischen Ziele des neuen Arbeitervereins. Bereits in der Gründungsversammlung wurde der damals 17jährige in den Vorstand gewählt. Im Protokoll der Vereinsversammlung vom 2. April 1848 ist zu lesen: „Das Ausschußmitglied Lender trägt vor, die Zunftgelder zum Zweck von Bewaffnung der Arbeiter zu verwenden und zugleich ein Ansuchen an den Gemeinderat in Konstanz um Abreichung von Waffen zu stellen.“  Lender Museum Sasbach

Für Lender war es wohl selbstverständlich, die Politik He-ckers unter großem persönlichem Einsatz zu unterstützen. So erschien der Heißsporn eines Tages kurz vor dem Abitur in Hecker-Uniform in der Schule: blauer Kittel, Säbel, federgeschmückter Heckerhut. Damit hatte Lender alle Konsequenzen für seine politischen Ansichten und Handlungen zu tragen: Die Schulleitung konnte gar nicht anders handeln, als Lender der Schule zu verweisen. Schlimmer noch: Dies geschah in „verschärfter Weise“, d.h.: Lender wurde einige Zeit nicht amnestiert und durfte im August 1848 nicht einmal als externer Schüler die Abiturprüfung ablegen. Aber es wäre ihm sicherlich auch schwergefallen, im Fach Deutsch eines der zentral gestellten Themen loyal zu bearbeiten: „Treue Pflichterfüllung beglückt am sichers-ten!“ oder: „Über die welthistorische Stellung und Aufgabe der deutschen Nation.“ So begleitete der abgewiesene Abiturient Lender den Revolutionsführer Hecker bis nach Kandern und musste nach der Niederlage – steckbrieflich gesucht – in die Schweiz ins Exil fliehen. „Noch heute tun sich manche Badener mit den „Norddeutschen“, also den Leuten nördlich der Mainlinie, schwer, weil die Preußen damals 1849 mit militärischer Gewalt den badischen Freiheitskampf erdrosselt haben. Da wird dann gern das „Badische Wiegenlied“ zitiert mit den makabren Versen: „Schlaf, mein Kind, schlaf leis./Da draußen geht der Preuß./ Deinen Vater hat er umgebracht./Deine Mutter hat er arm gemacht.“ (Hug, 11)

Bei unserem früheren Direktor Oberhuber liest sich die Beurteilung dieser Umbruchphase so: „Viele seiner Zeitgenossen haben es Lender nie verziehen, dass er 1848 an der Revolution aktiv teilgenommen und im Heckerschen Freiheitsheer Dienst geleistet hat (er war auch als Nachfolger des Freiburger Erzbischofs im Gespräch und wurde offensichtlich wegen dieser Vergangenheit nicht berücksichtigt). Heute denken wir aber anders darüber; für uns ist es erstaunlich, wie aus dem Revolutionär der Prälat, der Vorsitzende der Badischen Volkspartei und der Reichstagsabgeordnete werden konnte, ohne dass er sich dabei hätte  untreu werden müssen.“

Lenders Lebensweg ist  nach seiner jugendlich revolutionären Phase ungewöhnlich. Im Exil ließ er sich ohne Abitur in die Universität Zürich einschreiben, verließ die Schweiz aber Ende 1848, um in München drei Semester lang theologische und philosophische Vorlesungen zu hören. Auf Grund eines Amnestiegesetzes kehrte er 1849 in seine badische Heimat nach Gengenbach zurück und legte endlich auch das Abitur ab. Jetzt konnte er auch wieder seine Ver-wandten in Auskirch und Pfullendorf besuchen. Einmal holte er im Stall seines Auskircher Onkels das Pferd und ritt ohne Sattel den etwa fünfstündigen Weg nach Pful-lendorf hin und zurück. Dabei setzte er seinem Pferd offensichtlich so zu, dass es sämtliche Hufeisen verlor. Deshalb stellte er es in aller Stille in den Stall und verschwand ohne Abschied. Diese Anekdote zeigt wiederholt den hitzköpfigen Lender, von dem es in einer Beurteilung aus dem Jahre 1853 heißt: „Ist vorherrschend Verstandesmensch, disputiert und kritisiert gern, wird leicht heftig und aus Rechthaberei rücksichtslos. Dabei erkennt er dies teilweise selbst an und kämpft dagegen.“ Lender steht im Jahr 1853 kurz vor dem glänzenden Abschluss des Theologiestudiums in Freiburg. Ein Studienfreund dieser Zeit charakterisiert ihn so: „Er weckte uns auf; wie ein Adler … fuhr er unter uns.“ Im Übrigen stand Lender während des Studiums unter anhaltender staatspolizeilicher Überwachung. Noch im Februar 1851 forschte die Theologische Fakultät bei der ehemaligen Schule in Konstanz nach, wie Lender in der Zeit der Revolution die „ordnungsliebenden und geset-zestreuen Bürger aufgehetzt“ habe.

Während seiner gesamten Studienzeit  setzte sich diese innere Unruhe  fort, auch nach dem Entschluss, Priester zu werden. Einige Beispiele, die Pfarrer Häring erwähnt hat:

  • Nachdem er in München zwei Semester lang der Burschenschaft „Rhenania“ angehört hatte, trat er wieder aus
  • Etwas Ähnliches wird aus Freiburg berichtet: Zuerst förderte er mit ganzer Kraft den „theologischen Ver-ein“, um ihm dann wieder den Rücken zu kehren und ihm Schwierigkeiten zu bereiten.
  • Am 17.10.1850 trat er in das Noviziat der Jesuiten in Isenheim (Elsaß) ein, kehrte aber nach einigen Tagen nach Freiburg zurück und studierte weiter Theologie. Dabei blieb seine Sympathie für den damals verfemten Jesuitenorden lebenslang erhalten, auch als Abgeordneter des Deutschen Reichstags.
  • Das treffendste Beispiel aber: Im „Sitten-Zeugniß“ des Großherzoglich Badischen Universitätsamtes Freiburg, am 17. August 1852 am Ende seiner Stu-dienzeit lesen wir, sein Betragen sei den „akademi-schen Gesetzen entsprechend“ gewesen, „mit Aus-nahme, dass er wegen Unbotmäßigkeit mit 12 Stunden Carzer bestraft und wegen Ehrenkränkung, welche jedoch durch Vergleich erledigt, zur Anzeige gebracht wurde.“ Was ist geschehen! Lender hat – nach Dor – offensichtlich an einer Schlägerei unter Beteiligung von Theologen teilgenommen.  (vgl. „Sasbacher 1980“)

Am 10. August 1853 war es dann aber soweit: Der Onkel konnte aufatmen. Aus seinem Neffen ist doch noch etwas geworden. Franz Xaver Lender erhielt  die Priesterweihe und feierte mit seinem Onkel in Gengenbach die Primiz. Die Stationen seines priesterlichen Wirkens waren Gengenbach, Offenburg, Schwarzach und dann 1872 Sasbach. Wegen seiner außerordentlichen Fähigkeiten sowie wegen seines tiefen Verständnisses für soziale und wirtschaftliche Fragen trug man ihm zahlreiche Ämter auf:

  • 1865 – 1913 Mitglied der Kreisversammlung Baden-Baden (heutiger Kreistag)
  • seit 1884 Mitglied des Kreisausschusses; seit 1900 dessen Vorsitzender
  • 1871 – 1913 Mitglied der Zweiten Badischen Kammer (heutiger Landtag), mehrfach Kammervi-zepräsident
  • 1872 – 1913 über vierzig Jahre Mitglied des Reichsta-ges in Berlin; zuletzt als dessen Alters-präsident.

Lender erfuhr zahlreiche Ehrungen in Form von Titeln und Orden:

  • 1884 Ernennung zum Geistlichen Rat
  • 1896 Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät Freiburg
  • 1901 Papst Leo XIII. ernennt Lender zum päpstlichen Hausprälaten

Hinzu kommen noch zahlreiche Orden des Großherzogs von Baden, so z.B. die Ernennung zum Ritter des Ordens Ber-tholds I. oder die Verleihung des Sterns zum Kommandeurkreuz mit Eichenlaub des Ordens vom Zähringer Löwen.
Wahrlich – Franz Xaver Lender war eine herausragende Sasbacher Persönlichkeit. Ich will an dieser Stelle sein parlamentarisches Wirken ausblenden, das aber doch auch Thema einer Seminararbeit sein könnte. Stichworte:
Lenders Rolle als Abgeordneter im Landtag und seine heftigen Rededuelle mit dem gefährlichsten Gegner der katholischen Kirche, dem badischen Staatsminister Jolly oder Lenders Arbeit im Reichstag und sein persönliches Verhältnis zu Bismarck. Dieser schätzte Lender sehr und lud ihn öfters zu privaten Besprechungen ein.

Stattdessen verfolgen wir noch Lenders Weg von Schwarzach nach Sasbach. Der entscheidende Grund, warum Lender die Pfarrei Schwarzach verließ, war die geplante Schulgründung. Dass Sasbach zudem näher an der Eisenbahn lag, war für ihn als Abgeordneter auf dem Weg nach Berlin natürlich auch von großer Bedeutung. Zudem wollten sich die Schwarzacher Bürger mit Lenders Plan einer Schulgründung nicht so recht einverstanden erklären. Lender hatte schon „sein“ Waisenhaus. Es war damals üblich, dass Kinder, die beide Elternteile verloren hatten und in der Verwandtschaft keine Aufnahme fanden, an den Meistbietenden versteigert wurden. Um eine derartige Praxis zu unterbinden, gründete Lender die „Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder“.

Mit Freude übernahm deshalb Lender die Sasbacher Pfarrei. Sein guter Ruf eilte ihm voraus; herzlich war die Aufnahme durch die Sasbacher Bürger. Wenn man ihn eine Volksgeistlichen rühmt, so sagt das nichts anderes, „als dass man in Lender den Mann sah, der im Volk verwurzelt war, der die Leute packte, nicht als gelehrter Theologe, sondern als Priester, der seine Worte aus der Erfahrung schöpfte“ (Guldenfels). Gern gehört waren seine anschaulichen und schlichten Predigten (vgl. „Sasbacher 1981“, S. 81ff.). Gerühmt wurde auch die Wucht seiner Sprache. Man erzählt sich, eine Sasbacher Geschäftsfrau, die wohl in der Nähe der Kirche wohnte, habe behauptet, sie sei beim sonntäglichen Hochamt entschuldigt, weil sie auch zu Hause bei geöffnetem Fenster gut der Predigt Lenders folgen können.  Ein  dicker Stoß von Predigtskizzen und ausgearbeiteten Predigten v.a. zu den Hochfesten gehört zum Bestand des Pfarrarchivs von Sasbach. Sicher findet sich auch hier genügend Raum für eine Seminararbeit. Einen Aufschluss über den Priester Lender gibt auch ein Visitationsbericht aus seiner Zeit; er ist der einzige und von Lender persönlich geschrieben. Dort heißt es u.a.:

  • „Über seine Mitarbeiter urteilt er gut. Zu ihnen hat er großes Vertrauen. Die Ministranten „können ihre Gebete“.
  • Ob die Kirchenwäsche mit anderer Wäsche ver-mengt wurde: „Besondere Vorsorge ist nicht getrof-fen; es wird angenommen, dass die Kirchenwäsche nicht vermengt wird“.
  • Ob der Messwein von zuverlässigen Produzenten bezogen wird: „Der Messwein wird im Spätjahr von der Trotte weggekauft und behandelt.“
  • Über den Gottesdienstbesuch: „Der pflichtgemäße Gottesdienstbesuch möchte befriedigen.“
  • Herrschen sittliche Übelstände in der Bevölkerung? „Sittliche Übelstände können wohl nicht als herr-schend bezeichnet werden, dagegen frönen Einzelne geschlechtlichen Ausschweifungen, der Trunksucht, hegen Feindschaften.“

„Pfarrer Lender hielt zu seinen Leuten. Wer sein Ver-trauen gewonnen hatte, wurde von ihm gehalten. Lender wagte eigene Entschlüsse, z.B. beim Einkauf von Trauben für die Herstellung des Messweins. In seiner Religiosität konnte er wohl nicht übertroffen werden. Dies zeigen seine Angaben über Prozessionen, Bruderschaften, Krankengänge usw. Seine statistischen Angaben waren scharf formuliert, oft mit einem Schuss Ironie versehen. Lender war wahrheitsgetreu; er versuchte, in der Statistik nichts zu vertuschen oder zu beschönigen, vielmehr gab er auch Negatives zu. Verschleierungen lagen ihm nicht. Für Schreib-tischarbeiten hatte er wohl wenig Zeit; denn aus den 41 Jahren, die er in Sasbach wirkte, findet sich über Kirchenvisitationen nur ein Faszikel.“ (Häring)

Sprichwörtlich ist auch Lenders Sparsamkeit. So wurde in der Stiftungsratssitzung vom 21. Sept. 1913 – also nach dem Tode Lenders – beschlossen, die zwei Zimmer, in denen H.H. Prälat Lender gewohnt, herrichten zu lassen. Auch soll zugleich das elektrische Licht in diesen Zimmern eingerichtet werden.“ Noch ein weiteres Beispiel zur Verdeutlichung:  Dekan Lender verwendet die Ernennungsurkunde zum Pfarrer von Sasbach vom 21. März 1872 als Aktendeckel für die Akten des Armen und Krankenvereins, gegründet 1875. Ein Umstand, den Pfarrer Häring bei seinen Recherchen ans Tageslicht brachte. ( Häring)  Soweit zum Wirken des Pfarrers von Sasbach. Grab F.-X. Lenders

Aber Lender war ja nicht nur Ortspfarrer; er gründete auch die Volksbank Sasbach und konnte endlich sein Vorhaben einer Schulgründung verwirklichen. Die zunehmende Schärfe in der feindlichen Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche ließ die Sorge um den Priesternachwuchs immer mehr an-wachsen. Der Kulturkampf tobte; die Kirche sollte aus der Schule gedrängt werden, Theologen sollten ein gesondertes Staatsexamen ablegen, Knabenseminare geschlossen werden. Lender aber eröffnete eines. 1873 begann der Lateinunterricht mit drei Sasbacher Buben durch Vikar Marbe. Als Gründungsdatum der „Lehranstalt Lender“ bzw. der „Lenderschen Lehranstalt“ allerdings gilt der 20. September 1875 – ab hier erteilt der  „Sperrling”  Vikar Fehrenbach als erster ordentlichen Unterricht an auswärtige Buben.  Schnell wuchs die Zahl der Schüler an. 1912 waren es bereits 500.

Es ist erstaunlich, wie Prälat Franz Xaver Lender ange-sichts derartiger äußerer Hemmnisse wie Lehrer-, Raum-, Zeit- und Finanznot die Schule über die ersten Klippen gebracht hat. Sicher hat ihm dabei geholfen, dass er von seinem Onkel ein beträchtliches Vermögen bekam. Woher hatte der Onkel dieses Geld, das er seinem Neffen zur Verwirklichung seiner vielen Pläne schenken konnte? Der Lehrer und langjährige Direktor Lender musste ja in der Kulturkampfzeit sein weltliches Direktorenamt niederlegen; er wurde – wie gesagt – „weggelobt“. Deshalb war der Freiburger Erzbischof Hermann von Vicari der Meinung, der Staat müsse dem nunmehrigen Pfarrer das Gehalt bezahlen, da dieser ja in Ehren aus dem Schuldienst geschieden sei.  Aber Lender musste sich sechs Jahre lang (1854 – 1860) mit einem kärglichen Lohn als Pfarrverweser begnügen; die Pfarrgemeinde versorgte ihren Pfarrer zur Unterstützung mit Naturalien. Als dann aber die monatlichen Einkünfte auf einmal ausbezahlt wurde, schenkte der Onkel dieses Vermögen seinem Lieblingsneffen. Ohne dieses stünde die Schule wahrscheinlich nicht. Aber auch die Pfarrgemeinde ging nicht leer aus. Als die Pfarrkirche renoviert werden sollte und die Sasbacher Bevölkerung nur Pfennigbeträge aufbrachte, blies Lender den Spen-denaufruf kurzerhand ab und bezahlte die Handwerker aus der eigenen Tasche.

Ein Blick in die frühen Jahre der Schulgeschichte zeigt, wie aufreibend diese Arbeit gewesen sein muss. Die materielle Absicherung der Schule, der Erwerb der nötigen Grundstücke, der Bau der Internatsgebäude, die Anstellung von Lehrern, die Unterbringung und Verpflegung der Schüler – allein hier ließe sich noch manche Anekdote einbringen – all dies war zu erbringen neben der Arbeit als Ortspfarrer, Dekan, Kreis-, Land- und Reichstagsabgeordneter. Unvorstellbar muss die Bürde gewesen sein, die Lender zu tragen bereit war. Sicher kam es dabei auch zu unliebsamen Konfrontationen, doch half ihm hierbei  auch die emo-tionale Verankerung im Badischen. Hug meint: „Man wartet im Badischen ab und widerspricht nicht gleich.“ (11)

Lender verlor alos im Tagesgeschäft nicht die Nerven. Als einmal jemand bemängelt haben soll, er könne Len-ders Handschrift nicht lesen, soll sich folgendes kurzes Gespräch entwickelt haben. Lender: „Haben Sie lesen gelernt?“ Antwort des Kritikers: „Ja.“ Darauf Lender: Und ich schreiben. Damit basta!“ Eine zweite Begebenheit zeigt,  wie auch der Schalk aus Lenders Augen blitzte. Ein biederer Sasbacher Bürger wollte seinen ältesten Sohn auch in den „Pfarrhof“ schicken (das war die damalige Heimschule). Die Berichte über den schulischen Erfolg waren aber nicht günstig. Deshalb befragte der besorgte Vater den Schulleiter: „Gell, Herr Dekan, mein Franz ist halt arg dumm.“ Darauf Lender: „Ha, das will ich nicht sagen; er ist nur ein wenig stupid.“ Hoch befriedigt über diese nicht erwartete günstige Nachricht ging der Vater nach Hause.

Die gesamte Schul- und Pfarrgemeinde fieberte im Jahr 1913 einem einzigen Tag entgegen: Es war dies der 29. Juli. Die Schule deswegen, weil sie trotz aller Unkenrufe 40jähriges Gründungsjubiläum feiern sollte; die Pfarrge-meinde deshalb, weil ihr Dekan Lender Diamantenes, d.h. 60jähriges Priesterjubiläum feiern durfte. Alle Vorbereitungen für ein würdiges Fest dieser beiden Jubiläen waren getroffen. Und dann brach der Tod jäh in die Feierlichkeiten ein. Statt zu feiern, hieß es Abschied zu nehmen von einem Mann, dessen letzte Worte waren: „So, jetzt hören wir auf zu arbeiten.“ Dr. Franz Xaver Lender starb am 29. Juli 1913. Tiefe Betroffenheit, Ratlosigkeit und Ungewissheit löste sein Tod aus. Die Zukunft der Schule stand auf dem Spiel, denn nicht wenige Verantwortliche konnte sich Lenders Schule nicht ohne seinen Gründer vorstellen. Nüchterne Überlegung (z.B. Gründung einer GmbH) und fortan noch härtere Arbeit sicherten das Überleben der „Lenderschen Lehranstalt.“

Was kann uns unser Schulgründer heute noch mit auf den Weg geben? Prof. Karlheinz Rebel kommt für die ersten Generationen zu folgendem Urteil: „Gewichtiger aber als die gediegenen Latein- und Griechischkenntnisse der Sasbacher sind Liebe zur Arbeit, zur Einfachheit und Gottesfurcht, die sie von ihrer Schule mit ins Leben hinausnehmen. Die Schüler wissen diese Mitgift zu schätzen. Wie anders wäre es zu erklären, dass gerade die ersten Schülergenerationen trotz der Härte der Erziehung, trotz der angesprochenen Primitivität ihrer Unterbringung … in der Schule ihr Vaterhaus, in Lender ihren geistlichen und geistigen Vater sehen.“

Gewiss: Die heutige Schüler- und Lehrergeneration kann natürlich nicht mit der damaligen verglichen werden – aber der pädagogische Auftrag steht auch am 175. Geburtstag unseres Schulgründers unter der gleichen, von ihm gesetzten Maxime: „Initium sapientiae timor Domini“ – Am Anfang der Weisheit steht die Ehrfurcht vor Gott. So schließt denn auch die Laudatio  auf den „Jubelpriester“ in der Festschrift zum 60jährigen Priesterjubiläum des Prälaten Dr. Franz Xaver Lender am 29. Juli 1913: „Prälat Lender verkörpert in sich das Ideal eines christlichen Volksmannes und Volkswohltäters. Ein Mann des Gebets …, ein Mann von echt vaterländischer Gesinnung, ein Mann der Arbeit, ein Mann von äußerster persönlicher Anspruchslosigkeit, dafür ein Mann werktätiger Nächstenliebe.“

Nach all dem, was ich gelesen und vorgetragen habe, bleibt mir das eine zu sagen: Franz Xaver Lender ist Vor-bild in seiner Geradlinigkeit und Unerschrockenheit; er eignet sich nicht als Worthülsenmensch, sondern bleibt in allem, was er tut, glaubhaft. Er wirkt nicht glatt gebürstet, sondern hat bis ins hohe Alter seine Ecken und Kanten, an denen man sich reiben kann, ja muss. Kurzum: Franz Xaver Lender ist eine authentische Persönlichkeit – die gerade in Zeiten erkennbarer Be-liebigkeit zum Vorbild wird.

„Beispiele reißen eben mit“.

Autor: Gerd Sarcher